Ursula Schwaller ist eine Ausnahmesportlerin im Bereich Radsport, Rudern, Ski Alpin, Langlauf und Kajak. Sie ist ein Energiebündel, dass sich nie unterkriegen lässt. Die Freude am Sport, eiserne Disziplin und kalkuliertes Durchhaltevermögen, das sind die Zutaten, für ihre sportlichen, beruflichen und privaten Erfolge. Mehr über die aus Heitiwil stammende, mehrfache Rad-Weltmeisterin und Architektin erfahren Sie hier im Interview.
Ursula, dieses Jahr dürfen wir dich und deinen Freund und Trainer Marcel wieder auf der Insel begrüssen. Ist es Training oder sind es eher Ferien die ihr auf Mallorca verbringt?
Ursula Schwaller (U): Eine gute Frage. Ich glaube es sind Aktivferien. (Lacht). Der Grund weshalb wir hier sind und nicht in der Schweiz: wir machen momentan lange Trainingseinheiten, ca. 5-6 Stunden, mehr als 100 Kilometer pro Tag. Hierfür ist es in der Schweiz momentan noch zu kalt, was vor allem morgens unangenehm ist. Für dieses Grundlagentraining, das wir jeweils im Frühling machen, ist Mallorca ideal. Von dem her ist es schon eher mehr Training als Ferien.
Marcel Kaderli (M): Dank den perfekten Bedingungen ist es viel einfacher hier zu trainieren. Wenn wir hier ein flaches 120 km-Training machen wollen, können wir das einfach vom Hotel aus tun und müssen nicht zuerst etwa an den Bielersee fahren. Auch ein 80 km-Training mit 1000 Höhenmetern ist kein Problem. Auf Mallorca sind alle Profile, die wir zum Trainieren brauchen, möglich. Zudem, wie es Ursula bereits angetönt hat, kannst du hier morgens wie mittags in derselben Kleidung fahren. Du brauchst kein Gepäck mitzunehmen und kannst Wettkampfgeschwindigkeit fahren. Anfang bis Mitte März ist es wirklich perfekt hier.
Ihr seid schon viele Jahre auf Mallorca im Trainingslager. Wie oft wart ihr schon hier und wie seid ihr unsere Stammgäste geworden?
U: Wir haben es gerade gestern ausgerechnet, es sind über 17 Jahre! Angefangen hat es mit dem damaligen Nationaltrainer, dem Handbiker Stefan Wilda. Der Tipp des Radsportlers: „Im Frühling muss man nach Mallorca um Kilometer zu fressen“.
Er war bei Huerzeler und - begeistert von der ganzen Infrastruktur. Man kann das Velo unterstellen, es hat Mechaniker, man bekommt Verpflegung. Bei einer Panne kannst du jemanden anrufen und es wird geholfen. Es ist wirklich ideal um zu trainieren. Mit den Jahren kennt man sich auch und baut ein soziales Umfeld auf, etwa mit Hotelangestellten oder dem Huerzeler Team – es ist wie eine Familie zu der man gehört.
Richtig. Wenn das Duo Schwaller/Kaderli fehlt stimmt etwas nicht, wie etwa im letzten Jahr.
U: Ja, wir haben es auch vermisst. (lacht)
Hast du deine Lieblingsstrecke auf Mallorca?
U: Einmal rundherum. (lacht) Was ich wirklich sehr schön finde, ist die Strecke raus zum Cap Formentor. Wir waren vor drei Tagen dort. Es hatte sehr wenige Leute unterwegs. Die zahmen Ziegen am Strassenrand, die vielen atemberaubenden Ausblicke aufs Meer, die Felsen und Strände. Das haben wir in der Schweiz so nicht und das macht es für mich zu einer Art Lieblingsstrecke.
M: Ja, die Strecke zum Cap Formentor ist immer interessant. Auch um den Vergleich der riesigen Entwicklung im Rollstuhlsport sichtbar zu machen. Als wir am Anfang, vor zehn Jahren, hier her kamen machten wir gerade mal auf dem ersten Drittel der ersten Steigung Intervalltraining. Vielleicht drei Einheiten. Heute gehen wir an einem schönen sonnigen Tag gemütlich bis zum Leuchtturm und wieder zurück – und machen insgesamt etwa das Achtfache an Höhenmetern - an einem freien Tag. Eine enorme Entwicklung! Wenn du dann mit dieser Aussicht fährst und zurückdenkst, was sich alles getan hat – das ist einfach fantastisch und deshalb gehe ich sehr gerne ans Cap Formentor. Dazu kommt dass die Strasse saniert wurde und im Tunnel eine Beleuchtung installiert wurde, was die Sicherheit der Strecke stark verbessert hat.
Ursula, du hast mich gefragt ob die Insel geschrumpft sei. Ich garantiere, das ist nicht der Fall. Viel eher hat sich dein Radius vergrössert.
U: Stimmt, der Radius ist grösser geworden. Wenn ich, wie Marcel vorhin, die Entwicklung der letzten 15, 16 Jahre vergleiche, ist das schon enorm und auch verbunden mit zusätzlichen Freiheiten. Wenn du sagen kannst: „Jetzt gehen wir noch rasch nach Randa“, oder: „jetzt machen wir noch den Puig Major“, oder: „wir machen diese Schlaufe noch zusätzlich“, ist das schon sehr schön weil man noch mehr mitbekommt und geniessen kann. Und man leidet weniger. (lacht)
Zur Sportkarriere. Was gibt dir der Sport? Wie hast du deine Sportart „gefunden“? Es gab ja auch einen kleinen Zwist damit.
U: Als ich früher zur Schule ging und studierte, hatte ich kein Auto und machte den Schulweg jeweils mit dem Velo. Dann lernte ich Marcel kennen, der ein Liegerad hatte. Ich kaufte mir dann auch eins und wir machten gemeinsam Touren - mit Zelt und Benzinkocher. Das Radfahren gehörte immer zu meinem Leben. Nach meinem Unfall war meine zweite oder dritte Frage, ob ich wieder Velofahren kann - und dann kam Marcel mit einem Foto eines Handbikes. Ich war damals noch auf der Intensivstation und die Ärzte fanden: „Die spinnen doch! Träumen vom Handbiken, dabei haben sie ganz andere Probleme“. Aber es war genau das, was ich damals brauchte. Eine Perspektive zu haben. Wir sind «Gümmeler», Radsportler. Dieses Tempo, mit dem du gut vorwärts kommst, locker 80 bis 90 Kilometer pro Tag fahren und dabei die Landschaft geniessen kannst, ist eine Leidenschaft in mir drin.
Auch tut mir der Sport persönlich und körperlich sehr gut. Es schüttelt alles etwas durch, meine Beine werden gestreckt und die Betätigung hält mich fit und ich habe weniger Schmerzen. Es tut mir einfach gut - bin sogar ein Stück weit auch dazu verdammt.
Marcel hat dir also mit Perspektiven bei der Rehabilitation geholfen?
U: Ja, schon.
M: Wir waren vor dem Unfall viel zusammen unterwegs. Aber anders als heute. Wir machten Touren in Schottland und Irland - total unabhängig. Dann kam der Unfall und alles war weg. Wir hatten das Gefühl, das sei nicht mehr möglich. Weil wir schon Erfahrungen mit dem Liegerad hatten, war das Handbike relativ naheliegend. Unsere Idee war es eigentlich wieder gemeinsam auf Tour gehen zu können. Auf dem Handbike wurde Ursula dann schneller und schneller, wir kamen so in den Wettkampfbereich. Heute machen wir zwar keine Touren mehr, dafür umso mehr Langstreckenrennen. Zum Beispiel Trondheim – Oslo, Gran Fondo Sachen oder andere, längere Volksrennen, die Wettkampf mit der Komponente des einfachen Tourens, wo das Landschaftliche und das Geniessen, im Vordergrund steht, vereinen. Diesen Radius hat man als Rollstuhlfahrer ja eigentlich nicht.
Was treibt dich an? Woher nimmst du die Motivation und die Energie um auf diese Leistungen zu kommen?
U: Die Energie kommt daher dass ich spüre, wie gut mir das Velofahren tut. Einerseits körperlich, andrerseits mental, um den Kopf durchzulüften und als guter Ausgleich zum Job etwa. Für mich ist Motivation, Langstreckenrennen mit der Kraft meiner Arme mitfahren zu können. Dass ich mit den Armen die gleichen Strecken fahren kann, wie ein anderer «Gümmeler», der sich sagt, ich fahre Trondheim – Oslo oder den Mallorca 312er. Sicher, am Berg ist er vielleicht schneller, bergab bin ich es dann. Am Ende des Tages haben wir beide dieselben Kilometer gemacht, das Gleiche gesehen, das Gleiche erlebt und wir reden vom Gleichen. Das ist schon Motivation.
Du bist erfolgreich auf dem Handbike und auch im Rudern. Hat das etwas mit der Kraft in den Armen zu tun oder ist es dieselbe Leidenschaft wie auf dem Rad?
U: (Lacht).
M: Soll ich etwas dazu sagen? Daran bin nämlich ich schuld. (Lacht) Viele Spitzensportler passiert es nach dem Karriereende dass sie in ein Tief geraten, wenn sie nicht aufpassen. Berufliche oder sportliche Neuorientierung kann hier gegenwirken. Nach Ursulas Karriereende 2012 war die Frage, wie wir dies verhindern können. Mein Vorschlag war das Rudern. Zuvor waren wir schon mit dem Kajak auf dem Wasser und haben gemerkt, dass es hilft die Rumpfmuskulatur aufzubauen. Bessere Rumpfmuskulatur bedeutet einerseits mehr Stabilität im Alltag, andererseits auch mehr Kraft beim Handbiken.
Übrigens konnten wir denselben Effekt beobachten als Ursula vor zwei Jahren einen Unfall hatte, welcher zu Spasmen im Rumpf geführt hat. Interessanterweise haben diese Spasmen ebenfalls die Rumpfmuskulatur gestärkt, mit grosser Auswirkung auf die sportliche Leistung. Wir waren noch nie so schnell wie in diesem Jahr und knacken sämtliche Rekorde, insbesondere bergauf. Wir können jede Zeit um 5% bis sogar 10% unterbieten! Und dies alleine durch die gestärkte Rumpfmuskulatur. Auch aufs Alter hin, wir werden schwächer, ü50 und so, du weisst was ich meine, dann muss die schwindende Körperkraft mit Geschicklichkeit kompensiert werden. Und dies erreichen wir mit der Stärkung im Rumpfbereich.
Von älter werden kann ma also nicht sprechen, wenn man fragt, ob die Insel kleiner wurde. Andere haben eher das Gefühl, dass sie grösser wird.
U: (Lacht wieder).
M: Für uns ist sie eindeutig kleiner geworden. Früher mussten wir für den Puig Major richtiggehend planen und heute sagen wir: „Morgen ist schön, fahren wir den Puig“. Das ist ein riesiger Unterschied.
U: Oder wenn wir beim Kloster Lluc sind und sagen: „Jetzt gehen wir noch schnell hoch.“
M: Genau. Das ist einfach Freiheit. Normalerweise können das Rollstuhlfahrer nicht.
Es braucht jedenfalls einen unwahrscheinlicher Willen, dass man überhaupt an diesen Punkt gelangen kann und in eurem Fall auch zwei Personen, die auf einander eingestellt und bereit sind, diesen Willen umzusetzen.
U: Ja.
M: Ich weiss auch nicht. Radsport ist vielleicht etwas speziell gegenüber anderen Sportarten. Sagen wir Hochsprung, wo du in einer Arena bist und deine Höchstleistung abrufen und dich für den Wettkampf motivieren musst. Beim Radsport hast du die Motivation an jedem sonnigen Tag von selbst. Draussen in der Natur unterwegs zu sein und sagen zu können: „Es ist fantastisch hier“ reicht uns schon. Und dies trotz Behinderungen und Problemen, einschliesslich der aktuellen Corona-Krise. Oben bei den Seen (Anmerkung: gemeint sind die Stauseen im Tramuntana Gebirge) oder am Cap Formentor ist es genau gleich schön wie letztes oder vorletztes Jahr.
Es kommt auch eine ordentliche Portion positives Denken hinzu. Wo andere nur Probleme sehen, seht ihr Chancen, Möglichkeiten und schlussendlich auch Schönheit.
U: Ja.
M: Natürlich. Aber schlussendlich die Schönheit ist wirklich und real, sie ist nicht verschwunden. Es ist genau so schön wie zuvor.
Ursula, welches war für dich der bedeutendste Erfolg in deiner Karriere?
U: Schwer zu sagen. Jeder Erfolg hat etwas für sich. Es gibt ein paar Schlüsselerlebnisse. Zum Beispiel die WM in Kanada (2010). Als ich beim Strassenrennen durchs Ziel fuhr und meinen vierten WM-Titel holte, wartete Marcel im Ziel und nahm mich mit dem Velo in die Arme und drehte mich durch die Luft. Diesen Moment haben wir zusammen erarbeitet. Oder als wir mit den Langstrecken anfingen. Zum Beispiel das Rennen in Südschweden um den See (Anmerkung: Vätternrundan). Du fährst die Nacht durch und um zwei Uhr morgens geht die Sonne auf, der du entgegenfährst. Das war auch so ein Schlüsselerlebnis. Oder natürlich Trondheim – Oslo. Wenn du nach 550 km mit anderen Radfahrern ins Ziel kommst. Ich kann gar nicht sagen, was der schönste Erfolg war, jeder für sich hatte seine Eigenarten.
Magst du dich an den allerersten Sieg auf dem Handbike nach deinem Unfall erinnern?
U: Den ersten Sieg nicht. Aber an das erste Rennen. Da sind mir fast die Arme abgefallen. (Lacht) Das war ein Deal mit einem Handbike-Kollegen, er hat mir den Wettkampf schmackhaft gemacht. Als ich aus der Reha kam sagte er: „Hör zu, ich leihe dir ein Bike, dafür kommst du an das Brugger Abendrennen.“ Zwei Wochen nach der Reha und noch völlig grün hinter den Ohren, gingen wir an das Rennen. Ich kurvte dort dann mit ca. 20 km/h rum – und war sehr glücklich dabei. Daran kann ich mich gut erinnern. (Lacht)
Wie „aktiv“ bist du momentan? Welche Ziele hast du? Gibt es bevorstehende Wettkämpfe?
U: Es ist momentan schwierig mit den Wettkämpfen, da man nicht genau weiss welcher stattfindet und welcher nicht. Seit zwei Jahren möchten wir in Südnorwegen fahren. Vor zwei Jahren hat es wegen meines Unfalles nicht geklappt, letztes Jahr wegen Corona. Dieses Jahr hoffen wir die Color Line Tour, von Kristiansand nach Hovden, fahren zu können. Mit 210 km ein eher kurzes Rennen. Das Spezielle daran ist, dass uns vor zwei Jahren der Organisator vom Rennen Trondheim – Oslo angerufen hatte, weil eine norwegische Radfahrerin bei einem Rennen gestürzt war und Paraplegikerin wurde. Er dachte dann an die Handbikerin Ursula und fand, die Verunglückte namens Laila könne das auch - nur brauche sie ein Handbike und fragte uns um Hilfe. So gingen wir nach Norwegen und brachten ihr ein altes Weltmeisterbike von mir. Ein halbes Jahr später war sie wieder mit ihrem Veloclub unterwegs. 210 km kann sie natürlich noch nicht fahren, aber die Idee ist, dass Sie beim Rennen mit dem Begleitfahrzeug mitfährt und lernen kann, wie man Handbikerennen fährt. Das ist unser Ziel für das Rennen.
Die Technik im Rennradbereich hat sich stark weiterentwickelt. Die Räder wurden leichter, Scheibenbremsen und elektronische Schaltungen kommen zur Anwendung usw. Wie hat sich das Handbike entwickelt?
U: Da musst du den Mechaniker fragen. (Lacht)
M: Beim Handbike arbeiten wir noch mit alten Raddimensionen, 26 Zoll. Leider werden neuerdings hinten sogar nur 20-Zoll-Räder eingesetzt, also sehr klein. Sie sind nicht auf dem Niveau der breiteren, aerodynamischeren 28 Zoll-Räder. Deshalb haben wir uns auch vom Spitzensport verabschiedet, weil wir mit diesen Geräten keinen Langstreckensport machen können. Gegenwärtig entwickeln wir ein neues Handbike mit Carbonteilen von Minardi, 28-Zoll-Rädern, Scheibenbremsen und 12mm Achsen, wie die herkömmlichen Rennräder. Dieses Rad wird allerdings nicht für den Behindertensport zugelassen werden. Es ist spezifisch für das was wir wollen, die Langstrecke, gedacht.
Die Technologie wird also durch euch angetrieben und ist weniger Stangenware?
M: Nein. Es gibt eigentlich keine Stangenware. Es gibt grob drei wichtige Spezialisten für Wettkampfbikes weltweit, aus den USA, aus Deutschland und aus Italien. Mit diesen arbeiten wir zusammen. Wir machen ein Konzept und die Spezialisten bauen das Rad danach auf. Die Rahmen bzw. die Schalen kommen in ähnlicher Bauweise auch bei anderen Sportlern zum Einsatz. Aber die Gabeln, Sitze, die Konfigurationen, beispielsweise der Achsen und Bremsen planen wir jeweils selber.
Dann seid ihr gewissermassen Pioniere im Bereich Handbike Technik?
M: Ja. Das waren wir von Anfang an. Und jetzt, durch den Beschluss des UCI 20-Zoll-Räder einzusetzen, verstärken wir die Entwicklung und sehen uns fast wie vor 15 Jahren, als wir damit begonnen haben.
U: Das gute, leichte Material aus dem Nichtbehindertensport ist auch für uns extrem wichtig. Jedes Gramm zählt.
M: Auch schauen wir nicht nur auf den Strassensport, sondern vermehrt auf den Bereich Mountainbike. Letztes Jahr kam, kurz nach Ausbruch der Coronakrise und dem abgesagten Trainingslager auf Mallorca, unser erstes Mountainbike. Im Sommer haben wir unser Mountainbike-Know-how aufgebaut, sodass wir das Mountainbike in der Schweiz vorwärtsbringen können. Vielleicht schaffen wir es in ein Paar Jahren auch Huerzeler dazu zu bringen Hand-Mountainbikes anzubieten? (Lacht)
Dieser Diskussion verschliessen wir uns nicht. Ursula, du bist Architektin von Beruf. Wie stark bist du in diesem Bereich tätig momentan?
U: Gemeinsam mit drei Kollegen habe ich vor einem Jahr ein Architekturbüro übernommen und mich so selbstständig gemacht. Spezialisiert bin ich auf energieeffizientes, ökologisches Bauen. Ich baue dir ein Haus, welches wenig Energie für das Heizen und Warmwasser braucht. Die Energie hierfür stellt das Haus selbst – mittels Sonnenenergie – her. Für den Bau verwende ich natürliche Materialien, wie beispielsweise Holz, die keine Giftstoffe wie Formaldehyd enthalten.
Könntest du ein solches Haus allein mit deinen Trainings-Watt heizen und beleuchten?
U: Ich müsste schon einige Stunden trainieren und diese Watt einspeisen können, dann würde es sicherlich eine gewisse Zeit reichen. (Lacht) Mein Wohnzimmer heize ich mit rund 300 Watt wenn es sehr kalt ist. Wenn alle Bewohner mitstrampeln, könnte es reichen.
Auf Wikipedia heisst es, du seist auch Baubiologin. Was heisst das konkret?
U: Eine Baubiologin stellt bei der Architektur den Mensch ins Zentrum. Wir schaffen mittels natürlichen Baustoffen ein angenehmes Wohnklima. Wenn es regnet brauchst du eine Regenjacke, am besten mit atmungsaktivem Material, ansonsten kommst du ins Schwitzen. Beim Bauen ist es dasselbe. Wenn wir etwa Aussenwände aus Holz verwenden, kann das Haus atmen und braucht keine Dampfsperre aus Plastik. Dies ist ein wichtiger Aspekt bei der Baubiologie.
Du bist eine Ausnahmeathletin und ein Idol. Das unglaubliche Mass an Disziplin, Durchhaltevermögen und Motivation inspiriert nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern alle. Gibt es ein Motto nach dem Ursula Schwaller lebt?
U: Das ist eine schwierige Frage. Wichtig ist, dass man Gelegenheiten, wenn sie kommen, sieht und nützt. Dass man Dinge, die unmöglich erscheinen in Zwischenschritte aufteilt und es zumindest probiert. Kostbar sind die Gelegenheiten und die Zeit ist ein scharfes Schwert.
Du bist absolut bewundernswert. Ebenso auch dein Partner und Trainer Marcel. Wer von euch ist der Motor, um jeden Tag zu trainieren? Gibt es manchmal Zwist, oder seid ihr bei Trainingsfragen immer im Einklang?
M: Schau, du stellst mir eine Frage die du selbst beantworten kannst. Wenn ich die Entwicklung der Räder sehe und ich Ursula „Herrgott nochmal“ einen 28-Zoll-Schlitten zur Verfügung stellen möchte, muss doch das irgendwie gehen. Das ist genauso, wie wenn du eine Wanderung planst. Anfangs hast du Ideen, die konkreter werden – aus den Ideen wird ein Plan, der dich nicht mehr los lässt. So verhält es sich, wenn ich an einem neuen Velo herumstudiere. Die Gedanken kreisen um das Thema, bis du „es“ hast. Ich bin sicher, du kennst das auch.
Es braucht aber trotzdem immer wieder Motivation. Viele Rennvelofahrer kennen es: Das Wetter ist nicht so gut, man mag nicht so, hat eigentlich keine Lust zu fahren. Man sagt sich, es reiche für den Moment - und bleibt dann eben zuhause. Gibt es diese Situation bei euch auch?
U: Nie! (Lacht). Doch, natürlich. Wenn du müde bist oder das Wetter nicht so gut ist. Du fragst du dich, ob das jetzt wirklich sein müsse. Wenn ich es dann nicht mache, zahle ich es am Abend, habe zum Beispiel mehr Spastik oder Phantomschmerzen. Manchmal braucht es halt Überwindung und den Anderen der sagt: „Komm, wir gehen nur kurz“.
Wer ist denn der Motivator von euch beiden. Oder ist das eher gegenseitig?
M: Ich glaube das bin momentan ich. Ich bin ziemlich streng wenn es ums Trainieren geht. Ich schaue ob die Trainingspläne gemacht werden und ob sie eingehalten werden. Und wenn das Training dreimal nicht gemacht wurde, frage ich nach. Mittlerweile ist das auch viel einfacher geworden. Wir haben eine wunderbare Trainingsrolle zuhause, auf der man z.B. auch virtuell Mallorca-Strecken fahren kann. Das ist auch lustig weil wir, hier auf Mallorca, Strecken fahren, die Ursula zuhause auf der Rolle fährt. Das ist nicht das Gleiche wie früher, als man monoton rumgestrampelt ist. Heute kannst du auch an einem Regentag etwas Tolles machen.
Ich habe euch viele Fragen gestellt. Gibt es etwas das nicht erwähnt wurde und unbedingt noch etwas gesagt werden sollte? Gerne bis hin zur Kritik, Verbesserungspotential usw.
U: Es herrscht immer Rückenwind! (Lacht)
Der ist ein kein guter Trainingspartner. Du brauchst doch Gegenwind, sonst wirst du immer schneller.
U: Ja für die mentale Abhärtung bestimmt, bei Rennen kann es gerne Gegenwind geben. (Lacht). Wir kommen nun seit siebzehn Jahren nach Mallorca, wahrscheinlich habe ich schon ein ganzes Lebensjahr auf der Insel verbracht. Es ist für mich jedes Mal wie ein Heimkommen. Ich geniesse es enorm. Die Abwechslung, Leute zu treffen usw. Mallorca gehört für mich einfach dazu.
Wir schätzen uns glücklich, euch, Ursula und Marcel, als beispielhafte Menschen und Sportler, jedes Jahr bei uns zu Gast zu haben und bedanken uns herzlich für das Interview.
--------------------
Ursula Schwaller (U) und ihr Partner + Trainer Marcel Kaderli (M) im Trainingslager auf Mallorca. Interviewt am 09.04.21 von Marcel Iseli im Hotel Grupotel Los Principes. Transkript Nicolas Güntensperger.
Fotos: Mallorca Cycling Photos/Marcel Kaderli